Philosophie der frühen Neuzeit in den böhmischen Ländern

von: Stanislav Sousedík

frommann-holzboog Verlag e.K. , 2009

ISBN: 9783772830099 , 277 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

Windows PC,Mac OSX Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen für: Windows PC,Mac OSX,Linux

Preis: 158,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Philosophie der frühen Neuzeit in den böhmischen Ländern


 

3. Jagiellonischer Humanismus und Philosophie (S. 37-38)

Der Humanismus war eine ideelle Bewegung mit philologisch-literarischer und weniger mit philosophischer Ausrichtung. Trotzdem hatte er einen erheblichen Einfl uss auf die Philosophie, und das in zweierlei Hinsicht. Die humanistischen Literaten haben gelegentlich selbst über Philosophie geschrieben. Sie taten dies, sofern man philosophische Fragen als Bestandteil der schönen Literatur behandeln konnte. Dies war vor allem bei ethischen und anthropologischen Problemen der Fall. Der Humanismus hat jedoch auf die Philosophie noch in einer anderen, bedeutenderen Hinsicht gewirkt: Die Fachphilosophen konnten von den Humanisten philologische Methoden zur Interpretation von (z. B. aristotelischen) Texten und deren geschichtliche Wertung lernen.

Uns wird hier der Humanismus nur interessieren, insofern er zur Entwicklung der Philosophie beigetragen hat. Dazu ist es in den böhmischen Ländern – wenn wir von den bereits erwähnten weniger ausgeprägten älteren Erscheinungen absehen – gegen Ende des 15. und am Anfang des 16. Jahrhunderts gekommen. Nach dem Tode des Königs Georg von Podiebrad (1471) herrschten in Böhmen bis zum Jahre 1526 die Könige aus dem polnisch-litauischen Geschlecht der Jagiellonen.

Die beiden bedeutendsten Vertreter des Jagiellonischen Humanismus, die sich u. a. auch mit Philosophie beschäftigten, Bohuslav von Lobkowitz auf Hassenstein (1461–1510) und Jan Šlechta von Všehrdy (1466–1525) waren Laien. Das war in den böhmischen Ländern etwas Neues. Im Mittelalter war die Pfl ege der Philosophie stets mit kirchlichem Dienst verbunden.

Das änderte sich allmählich in der Neuzeit: Wir beobachten zuerst in den wirtschaftlich am weitesten entwickelten Ländern des europäischen Westens, dass sich neben Ordensangehörigen und Geistlichen auch vermögende Privatleute und Aristokraten mit Philosophie zu befassen beginnen. Es ist beachtenswert, dass solche Personen auch verhältnismäßig frühzeitig in Böhmen auftreten. Es hängt mit den Besonderheiten der sozialen Entwicklung dieser Region zusammen, dass aber das Beispiel der beiden angeführten Autoren für lange Zeit ein Einzelfall geblieben ist.

Bohuslav von Lobkowitz studierte in den siebziger und achtziger Jahren in Italien – in Bologna und in Ferrara.52 Er erwarb hier 1482 den Doktor für Kirchenrecht und war zum entschiedenen Katholiken geworden. Nach seiner Rückkehr nach Böhmen bemühte er sich (obwohl er keine geistlichen Weihen hatte) einige Jahre lang ohne besonderen Eifer zuerst um das Olmützer Bischofsamt, später um die Stellung eines Weihbischofs von Breslau.

Außer einer kurzen Zeit, in der er in Buda am Hofe König Wladislaus’ wirkte, hatte er jedoch nie eine öffentliche Stellung inne. Sofern er nicht reiste, verbrachte er seine Zeit mit humanistischen Studien und mit dem Verfassen von lateinischen Gedichten auf seiner Burg Hassenstein (Hasištejn), wo er eine beachtliche Bibliothek zusammentrug.53 Als Schriftsteller, vor allem als lateinischer Dichter, fand er internationale Anerkennung.

Einige seiner Arbeiten sind auch philosophischen Fragen gewidmet. Erwähnenswert ist seine Schrift De miseria humana aus dem Jahre 1495,54 in der er nach Petrarcas Vorbild die Drangsale darstellt, von denen der Mensch eines jeden Standes, Berufs und Alters von der Wiege bis zur Bahre geplagt wird; das Ende des Elends ist erst das jenseitige Leben der unsterblichen menschlichen Seele. Die farbige Darstellung der verschiedenen Drangsale, die die Menschen befallen, füllt den überwiegenden Teil des Buches aus. Bohuslavs Schrift kann man nur mit einem gewissen Wohlwollen als philosophisch betrachten. Kulturhistorisch interessant ist der Nachdruck, den er auf die Unsterblichkeit der Seele legt: die Auferstehung der Toten erwähnt der Verfasser nicht. Das verrät den Einfl uss, den der zeitgenössische Renaissance-Platonismus auf Lobkowitz ausgeübt hat.