Petrarca lesen

von: Hans Grote

Reihe: legenda, Band: 7

frommann-holzboog Verlag e.K. , 2006

ISBN: 9783772830068 , 194 Seiten

Format: PDF, OL

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 39,80 EUR

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Petrarca lesen


 

5. Konklusionen (S. 177-178)

Wohl am 2.November 1353 schreibt Petrarca einen Brief an seinen Bruder (Fam. XVI 2) und berichtet, wie während eines Abendessens bei Ildebrando, dem Bischof von Padua, zwei Äbte – ein Italiener und ein Franzose – eine Geschichte erzählen, in der der Adressat selbst die Hauptfigur ist: Die Pest von 1348 hatte auch das Kartäuserkloster von Montrieux erreicht, und nach und nach seien viele von Gherardos Mitbrüdern entweder geflohen oder der Seuche erlegen.

Er aber habe unerschütterlich die 34 verbliebenen Mönche betreut und im Sterben begleitet, habe ihnen die Beichte abgenommen und sie schließlich beerdigt. Als einziger Überlebender der Gemeinschaft habe er dann das Kloster vor der Plünderung bewahrt und nach dem Ende der Epidemie veranlaßt, daß Mönche und ein neuer Prior nach Montrieux entsandt wurden. Petrarca setzt mit dieser Nach-Erzählung seinem Bruder ein literarisches Denkmal und will ihm verdienten Nachruhm sichern, indem er ihn als vorbildlichen Menschen darstellt, der „christlich und philosophisch zugleich“1 argumentiert und handelt.

Der philosophus Petrarca ist zugleich auch immer ein litteratus, der in Anlehnung an das kürzlich von seinem Freund Boccaccio entwickelte Strukturmodell der Novellensammlung den Bericht in einen geselligen Erzählkontext einbettet, dessen Darstellung ihrerseits durch die Briefform einen Rahmen erhält. Er wählt damit ein innovatives Verfahren, das mit dem zwischen 1349 und 1353 entstandenen Decameron seine vollendete Ausprägung erhält, und das es ermöglicht, widerstreitende Ansichten und höchst unterschiedliche Wissensbereiche in einer geschlossenen literarischen Form zu behandeln.

In der Hierarchie der menschlichen Tätigkeiten siedelt Petrarca die Literatur über allen freien und mechanischen Künsten an. Sie ist für ihn die umfassende Meta-Wissenschaft, denn „leicht könnte ich darlegen, daß die Dichter unter dem Schleier der Erfindung mal die Physik behandelt haben, mal die Moral und mal die Geschichte, weshalb wahr ist, was ich oft sage: Zwischen der Aufgabe des Dichters und der des Historikers, des Moralphilosophen oder Naturwissenschaftlers besteht der gleiche Unterschied, wie zwischen einem bewölkten und einem heiteren Himmel: Das Leuchten, das sich hinter beiden verbirgt, ist das gleiche, doch unterscheidet es sich gemäß der Sehkraft dessen, der schaut.“