Die Frage nach dem Sinn – Das Subjekt und die Freiheit, ein psychoanalytischer Beitrag - Jahrbuch der Psychoanalyse 15

von: Wolfgang Loch, Hermann Beland, Friedrich-Wilhelm Eickhoff, Wolfgang Loch, Edeltrud Meistermann-Seege

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 1983

ISBN: 0009410015203 , 32 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

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Die Frage nach dem Sinn – Das Subjekt und die Freiheit, ein psychoanalytischer Beitrag - Jahrbuch der Psychoanalyse 15


 

1) Durch Aufdeckung u./o. Konstruktion bzw. Rekonstruktion der »geheimen Motive« (S. Freud) werden Verhaltensweisen bzw. Symptome neurotisch-abnormer Natur als zielgerichtete Akte, also Handlungen aufgewiesen. Indem »das wozu«, »das wohin« dem (notwendigerweise) , ein »woher«, i. e., Eindrücke und Erlebnisse» korreliert sind (S. Freud, 1916/17, S. 294, 286) gesagt wird, wird Sinn im anscheinend Sinnlosen, im offenkundig irrationalen Geschehen solcher Affektionen gefunden, und zwar geschieht das dort, wo Verdrängungen am Werk waren. Insoweit es jedoch darum geht, noch nie Bewußtes in die sprachliche Dimension umzuschreiben, werden Sinn und Rationalität im psychoanalytischen Dialog konstituiert. Im letzteren Fall, in dem kein «referenzieller Bezug» vorgegeben war, wird mit den benutzten Worten, den «Zeichenträgern» ein Objekt neu zugestellt (P. Rusterholz, 1. c. S. 249, 250). Freilich diese Worte können nur dann «passende» Worte sein, falls die im handelnden Umgang der Dialogpartner sich vollziehende, bislang im Bewußtsein noch nicht sprachlich vertretene, Situation mit dem noch nie Bewußten jetzt zusammenpaßt und insofern die jetzt ist. Insofern ist der referenzielle Bezug die Situation. Die Kohärenz, die existieren muß, kann man letzten Endes nicht sagen, vielmehr nur nach dem Gefühl beurteilen; etwa so «wie die Hose sitzt» (H. Putman, 1981, S. 180), und die so produzierte Wahrheit ist, wie vielleicht «Wahrheit» überhaupt «die letztliche Güte des Zusammenpassens» (1. c. S. 94). Nicht gesagt werden können, nicht sagbar sind bei diesem Geschehen die beteiligten Subjekte, die nicht «zugestellt» werden können, die die «Zustellenden» sind (s. 3 unten). (2) Beide Vorgänge realisieren sich im Rahmen der psychoanalytischen Situation. Die Bedingungen der Möglichkeit für ihre Realisation sind gebunden: (a) an die Erfahrung des Anerkennens eines basalen Triebwunsches auf seiten des Patienten durch den Therapeuten. Dies ist ein Vorgang, dem eine Evidenz zugrunde liegt, welche, wenngleich ihrerseits averbaler Natur, jedoch eine sprachliche Formulierung, der dazugehörigen Interaktion wie des dem dieser korrelierten Affektes bzw. Gefühles, bedarf, damit beides dem Patienten, seinem «Ich», dem Subjekt verfügbar wird. (b) an die Einhaltung abgesprochener Rahmenbedingungen («des setting»), die, weil sie Patient wie Therapeut in gleicher Weise binden die feste, nicht bezweifelbare Voraussetzung dafür abgeben, daß die Dialogpartner über und durch ein gemeinsames «Hintergrund-Objekt» (J. Grotstein) «Eins» sein können womit alle im Laufe weiterer Entwicklungen sich ergebende Entfremdungen wie Hinwendungen zu externen Objekten eine gemeinsame, Sicherheit gewährende Basis besitzen und somit über diese mit dem in (a) angezieltem, das Ich-Selbst gründende, Erleben kommunizieren. (3) Indem sich die unter (2, a und b) genannten Vorgänge abspielen - und sie müssen sich bei jedem Deutungsschritt, soll er «über-zeugend» wirken wiederholen - wird das Subjekt prädiziert, nämlich in seiner Teilnahme an einem Begründungsspiel. Zugleich aber wird das Subjekt auch freigespielt, denn indem es geheime Motive, Begründungen seines jeweiligen So-Seins versteht - versteht im Sinne eines einheitlichen Aktes, der ein emotional-conativ-kognitives Simultangeschehen darstellt - , kann es sich als Negativität, als Null-Stelle (wir können auch sagen als «die bestimmte Negation der - bisher bestimmenden unbewußten - Regel», B. Liebrucks, 1982, S. 155) - und also als «Freiheit» erleben. Hiermit aber fallen «Freiheitsbeschränkungen», die durch Neurosen u./ o. psychosomatische Affektionen bedingt waren (A. Mitscherlich, 1945, S. 74, 73), insofern deren bisherige Wirklichkeit durch die Erfahrung aufgehoben wird, daß die ihr entsprechende Kausalität nur unseren Interpretationen angehörte nicht aber der «Natur selbst eigen ist» (B. Liebrucks, 1. c. S. 156). (4) Um im Sinne von (3) deutend tätig sein zu können ist die Erfüllung folgender Vorbedingungen auf Seiten des Therapeuten erforderlich: (a) Die Einnahme der Haltung der «gleichschwebenden Aufmerksamkeit» (S. Freud), denn es ist diese Haltung, die den Therapeuten für die aus dem Unbewußten stammenden affektiven Besetzungen, die vom Patienten auf ihn zukommen, empfänglich macht. (b) Die Einnahme einer Haltung, die Einübung einer Einstellung, die es dem Therapeuten erlaubt sich der Präokkupation mit den biographischen Daten und den Mitteilungen des Patienten überhaupt zu entziehen (W. R. Bion). (c) Die Einnahme einer Haltung, die es dem Therapeuten erlaubt, dem Drang, den Patienten verstehen zu müssen, zu entsagen (W. R. Bion). (a) entspricht der Abstinenz ersten, (b) und (c) entsprechen der Abstinenz zweiten Grades. Diese letztere ist in Verbindung mit dem Glauben, daß der Patient fähig ist, seelisches Leben zu entfalten (auch darauf hat Bion hingewiesen), Voraussetzung für die Evolution von «O», einer «letzten Wahrheit». (5) Aus Vorstehendem ist ersichtlich, es geht bei allen Deutungsaufgaben um die Sprachwerdung des Ich bzw. des Subjekts, das sich damit sowohl prädizieren läßt und zugleich selbst prädiziert und sich dadurch als Negativität, als Geist und Freiheit zu begreifen vermag. Sofort ist anzufügen, daß die Manifestation dieser Negativität, des Geistes und der Freiheit stets nur in Abhängigkeit und im Rahmen von der in (2, a, b) beschriebenen, intersubjektiv entwickelten materiellen Basis erfolgen kann. Das heißt, Subjekt, Freiheit und Geist sind insoweit als sie «im-Anderen bei-sich-selbst» sind (M. Theunissen, 1978, S. 49, i. O. hervorgeh., W. L.). Damit aber leuchtet eine weitere Korrelation auf, denn «Liebe» ist das «bei-sich-selbst-Sein im Anderen» (I.e., i. O. hervorgeh.). So wird deutlich, zwischen Freiheit, der Vermehrung ihres Spielraumes, und Liebe, dem Eros, ergibt sich ein wechselseitiges Verhältnis. Dies kann im Rahmen eines Systems, das die dialogische Kommunikation als seine fundierende Dynamik setzt - und das tut die Psychoanalyse Sigmund Freuds - nicht anders sein, denn ein solches System hat als allgemeinste Rahmenbedingung die Vorschrift: «. . . der eine (erfahre) den anderen nicht als Grenze, sondern als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung» (M. Theunissen, I.e. S. 46). Indem aber dies der Fall ist, besteht, solange die Prozesse der Selbstverwirklichung und also der Sinnfindung nicht abgeschlossen sind, eine Abhängigkeit von der Bezugsperson, die dieses Geschehen begleitet, das ja nicht nur und allein durch Erinnern und Wiederholen den Neuanfang «gebiert». Der Analytiker hat damit notwendigerweise den Charakter einer echten Autorität. Diese Autorität wird aber in dem Maße aufgehoben, in dem sie aufhört, die Bedingung - und also nicht nur der sokratische Geburtshelfer ist - der Selbstwerdung zu sein, und, insofern es gut geht, bleibt auf der Seite des ehemals Abhängigen, nunmehr zur eigenen (wenngleich immer noch begrenzten) Selbständigkeit fortgeschritten, Dankbarkeit zurück.