Die Dynamik des Raumes und die gelebte Zeit - Jahrbuch der Psychoanalyse 15

von: Gisela Pankow, Hermann Beland, Friedrich-Wilhelm Eickhoff, Wolfgang Loch, Edeltrud Meistermann-Seege

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 1983

ISBN: 0009410015209 , 16 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

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Die Dynamik des Raumes und die gelebte Zeit - Jahrbuch der Psychoanalyse 15


 

Dürfen wir die Hypothese aussprechen, daß die gelebte Zeit - das heißt nach meiner Definition die Zeit, die erforderlich ist, um dem Körper Grenzen zu geben und ihn so bewohnbar zu machen - von der räumlichen Ordnung abhängt, in der der Mensch jeweilig lebt? Mit anderen Worten: Kann die «Konfiguration der Zeit» zur jeweiligen Dynamik des Raumes in Beziehung gesetzt werden? Man könnte natürlich einwenden, daß ich in meinen Arbeiten von der Welt des Psychotikers (Pankow 1981) ausgehe. Ich möchte zu bedenken geben, daß der «Mangel» uns oft mehr lehrt als die Fülle und daß die Pathologie oft tiefere Gesetzmäßigkeiten aufgedeckt hat als der oberflächliche Ablauf gewisser Funktionen vermuten lassen könnte. Im übrigen hat mich ein bekannter französischer Philosoph vor zwanzig Jahren nach dem Erscheinen meiner Arbeit «Pathologie et image du corps» (Pankow, 1961) nahezu dazu getrieben, meine begonnenen Arbeiten über «Die Erarbeitung des Körperbildes als Grundlage der Zeiterfahrung» (Pankow 1961) weiterzuführen und die primäre Beziehung zum Raum zu vertiefen. Er sagte mir wörtlich: «En ce qui concerne l’espace, vous avez peut-etre une avance sur les philosophes.» - «Was den Raum anbetrifft, haben Sie vielleicht einen Vorsprung vor den Philosophen.» Mit anderen Worten: Die Zeiterfahrung könnte zur Dynamik des Raumes in Beziehung gesetzt werden. Für den Dichter Machado de Assis kommt die Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Raum. Dom Casmurro läßt das Haus seiner Jugend naturgetreu wiederaufbauen. Mit den Mauern kommen die Menschen der Vergangenheit, die den Einsamen umgeben. «Auf der letzten Treppenstufe kam mir eine Idee, so plötzlich, als hätte sie dort zwischen den Stäben des Geländers auf mich gewartet». (S. 175) Alexander Solschenizyn zeigt, wie eine Bruchstelle im Raum - die Balken als heterogenes Element im Hause der Matrjona - die Zeit in Bewegung setzt, die vierzig Jahre lang stillgestanden hatte. Die gelebte Zeit wird für Matrjona zur Zeit, die notwendig ist, um zu den Wurzeln ihrer menschlichen Tragödie vorzustoßen, einer Tragödie, die vierzig Jahre lang in einer «Ecke» im Raum verborgen war.