Das Schwinden des Ödipuskomplexes - Jahrbuch der Psychoanalyse 13

von: Hans W. Loewald, Hermann Beland, Friedrich-Wilhelm Eickhoff, Wolfgang Loch, Edeltrud Meistermann-See

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 1981

ISBN: 0009410013203 , 26 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

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Das Schwinden des Ödipuskomplexes - Jahrbuch der Psychoanalyse 13


 

Nicht nur der Ödipuskomplex ist konstitutiv für das normale Seelenleben des Erwachsenen und sonach immer wieder aktiv. Ein mit den frühesten Schicksalen der ambivalenten Suche nach primärer narzißtischer Einheit und Individuation verbundener psychotischer Kern bildet ebenfalls einen aktiven konstitutiven Faktor im normalen psychischen Leben. Seine Aktivität ist durch die verschiedensten Untersuchungen über das archaische Geistesleben sichtbarer und teilweise infolge dieser Untersuchungen — prominenter in der Pathologie von Patienten und im modernen Leben überhaupt geworden. Diese tieferen unbewußten Strömungen wirken, seit sie enthüllt wurden und wieder Einfluß auf die moderne Sensibilität gewonnen haben, auf die Organisation des Geistes, der Erfahrung und des Handelns ein. Unsere bisher normale Weise, die Realität zu organisieren, die auf eine strenge Unterscheidung und Trennung zwischen einer inneren, subjektiven, und einer äußeren, objektiven Welt abzielt, steht in Frage. Unser psychotischer Kern, wie er immer sichtbarer wird, hindert uns daran, mit dieser Lösung so vertraut zu sein und uns mit ihr so wohl zu fühlen, wie es unsere wissenschaftlichen Vorfahren noch konnten. Ich glaube, unsere Suche nach Individuation und Individualität und nach einer objektiven Weltsicht wird anders eingestellt durch Einsichten, die wir aus der »psychischen Realität« präödipaler Lebensstufen gewinnen. Wir sollten sogar Freuds Unterscheidung zwischen psychischer Realität und faktischer (materieller), objektiver Realität neu überprüfen. Dies heißt nicht, diese Unterscheidung wäre ungültig. Aber ihre Gültigkeit scheint eingeschränkter und begrenzter zu sein als wir annahmen, analog zur Newtonschen Physik: die neuen Theorien und Entdeckungen der modernen Physik machen die Newtonsche Physik nicht ungültig, aber sie schränken ihre Anwendbarkeit ein. Auf Grund dieser Entwicklungen schwindet das Interesse am Odipus-Komplex. Es gilt aber auch, daß Perspektiven über den Ödipuskomplex sich ändern, daß die verschiedenen Arten seines Schwindens und Wachsens während der Lebensstufen ihm eine erneute Bedeutung und ein erneutes Gewicht verleihen, und daß die intermediäre Natur inzestuöser Beziehungen, intermediär zwischen Identifizierung und Objektbesetzung, neues Licht auf seine Zentralität wirft. Ich habe darauf hingewiesen, daß das Uberich als Erbe des Ödispuskomplexes eine aus Elternmord hervorgehende Struktur bildet, sowohl Schuld als auch Sühne für die machthaberische Aneignung der Autorität darstellend. Wir erinnern uns daran, daß die ödipalen Bindungen, Kämpfe und Konflikte auch als neue Versionen des grundsätzlichen Einheits-Individuations-Dilemmas zu verstehen sind. Das Uberich stellt als Höhepunkt der individuellenseelischen Strukturbildung etwas Letztes im grundlegenden Trennungs- Individuationsprozeß dar.