Inzestproblematik in Goethes ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹ - Jahrbuch der Psychoanalyse 59

von: Ilse Maria Bielefeld, Claudia Frank; Ludger M. Hermanns; Elfriede Löchel

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 2009

ISBN: 0009410059205 , 61 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Inzestproblematik in Goethes ›Wilhelm Meisters Lehrjahre‹ - Jahrbuch der Psychoanalyse 59


 

Im Zentrum der Arbeit steht die Untersuchung einer Inzestproblematik in Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre, der als sogenannter Bildungsroman ein Schlüsselwerk der deutschen Literatur ist. Dazu stützt sich die Verfasserin auf ein methodisches Vorgehen, nämlich die Reflexion ihrer Gegenübertragungsmanifestationen, um Facetten des Innerpsychischen des Helden erfassen zu können, die sie mit einer Analyse der Textstruktur verbindet, um auf dieser Grundlage zu objektiveren Deutungen kommen zu können. Inhaltlich verfolgt sie den Werdegang des Protagonisten und zeigt auf, daß die Inzestproblematik des Helden sich zunächst als eine inzestuös-ödipale Problematik darstellt, genauer als die ödipale Illusion im Sinne Brittons. Im Verlauf der Handlung gelangt der Held zur Anerkennung der ödipalen Situation durch die schöpferische Leistung der Hamletinszenierung – in der er durch die Anerkennung seiner Ambivalenz, d. h. die Anerkennung seines eigenen Hasses gegenüber dem geliebten Objekt als Voraussetzung für Symbolisierungsprozesse – die depressive Position durcharbeitet. Faszination und Beunruhigung beim Leser durch die androgyne Gestalt der Mignon, ihre inzestuöse Herkunft als Kind eines Geschwisterpaares, führen die Verfasserin zur Erkenntnis, daß das inzestuöse Begehren Mignons als Tochter in der Beziehung zum Helden als Vater die Umkehr von Wilhelms inzestuösem Begehren als Sohn in der Beziehung zu seiner Mutter darstellt und insofern als Selbstanteil des Helden – per projektiver Identifizierung in Mignon verlagert – verstanden werden kann und daß der ödipalen Inzestproblematik zusätzlich eine Geschwisterinzestproblematik zugrunde liegt. Die weitere Analyse kann aufzeigen, daß Wilhelms Entwicklung von Verantwortung und der Fähigkeit der Sorge als ein weiterer Aspekt der depressiven Position die Voraussetzung zur Liebesfähigkeit und zur Erwiderung seiner Liebe durch Natalie darstellt und daß das ödipale Begehren und das Geschwisterinzestbegehren durch eine auf symbolischer Ebene zu verstehende Transformation einer Geschwisterliebe in eine Liebe zwischen Mann und Frau bestätigt und zugleich aufgelöst wird.