Adolf Grünbaum und die psychoanalytische Wahrheit - Jahrbuch der Psychoanalyse 25

von: Wolfgang Tress, Friedrich-Wilhelm Eickhoff; Wolfgang Loch; Hermann Beland; Edeltrud Meistermann-Seeg

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 1990

ISBN: 0009410025205 , 33 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

Mehr zum Inhalt

Adolf Grünbaum und die psychoanalytische Wahrheit - Jahrbuch der Psychoanalyse 25


 

Seine Anhänger rühmen Adolf Grünbaum als unerbittlichen Kritiker zeitgenössischer Geistesgrößen: zunächst die Zurückweisung des kritischen Rationalismus von Karl Popper und seit 10 Jahren das Hinterfragen der Freudschen Psychoanalyse. Mit Freud stellt Grünbaum die Psychoanalyse den experimentell-empirischen Naturwissenschaften zur Seite und bestreitet genau deshalb ihren Anspruch, auf klinischer Basis Wahrheiten entdecken und belegen zu können. Diese Herausforderung der Psychoanalyse greift die vorliegende Arbeit auf und rekonstruiert zunächst an einer in deutscher Sprache erschienenen Streitschrift Grünbaums (1987) den Duktus seiner schon lange entwickelten, über die Jahre immer ausgefeilteren Anklagen und Beweise gegen den Erkenntnisanspruch der klassischen Psychoanalyse: Grünbaum-These I: Es sei psychoanalytische Auffassung, daß eine Neurose zuverlässig zum Verschwinden gebracht werden könne durch die bewußte Herrschaft über die Verdrängungen, die kausal für ihre Pathogenese erforderlich sind ("Freud's master proposition"). Diese Position muß zwangsläufig scheitern. Die ätiologischen Postulate der Psychoanalyse seien nur durch außerklinische, etwa experimentelle oder epidemiologische Untersuchungen zu stützen. Grünbaum-These II: Das gesamte klinische Unternehmen der Psychoanalyse hat mit großer Wahrscheinlichkeit ausschließlich den wissenschaftlichen Rang einer Placebo-Therapie. Dies geht auf die in ihr enthaltenen suggestiven Momente zurück, welche den Patienten dahingehend manipulieren, sich in gutem Glauben gemäß der psychoanalytischen Theorie zu äußern. Grünbaum-These III: Hermeneutische Rekonstruktionen der Psychoanalyse münden notwendig in szientophobische Mythologismen, denen gegenüber Freuds eigene Auffassung der Psychoanalyse ungleich lehrreicher und von astronomisch höherem wissenschaftlichem Wert ist. – Diese Thesen werden anhand der Grünbaumschen Schriften weiter ausgeführt. Dem aber ist zunächst mit dem Nachweis zu entgegnen, daß Grünbaums Thesen auf einem einseitig überzogenen Wahrheitsbegriff basieren, angesichts dessen die grundsätzliche Möglichkeit überhaupt entschwindet, dem Menschen angemessene soziale Wissenschaft zu betreiben. Alternativ wird ein pragmatischer Wahrheitsbegriff favorisiert, dessen Bedeutung vom Gebrauch des Prädikates „wahr“ ausgeht. Es folgt der Nachweis, daß Handlungsmotive keine Ursachen im strengen Sinne des Kausalitätsbegriffs sein können, weil Motive als Aspekte einer ganzheitlichen Handlungsbeschreibung nicht zugleich auch eigenständige, zeitlich isolierte Momente einer nomothetischen Gesetzmäßigkeit sein können. Ein nächstes Argument richtet sich gegen Grünbaums atomistisches Verständnis des neurotischen Symptoms, welche die klinische Wirklichkeit gründlich verfehlt. Als nächstes wird das Placebo- und Suggestionsargument erörtert und gezeigt, daß diese These im Sinne des radikalen Skeptizismus in letzter Konsequenz die Möglichkeit des bedeutsamen Gesprächs zwischen Personen und damit natürlich auch der sinnvollen Argumentation unter Wissenschaftlern untergräbt. Als Alternative ist Grünbaum eine Rekonstruktion der Psychoanalyse auf der Grundlage solcher Strömungen in der analytischen Philosophie des Geistes entgegenzuhalten, die streng zwischen einem kausalwissenschaftlichen (operational-nomothetischen) und dem intentionalen Diskurs unterscheidet. Beide Modalitäten bleiben gegeneinander explanatorisch autonom. Psychoanalytische Erkenntnis hat ihre wirkliche Grundlage im Hier und Jetzt der szenischen, intentionalen Kommunikationshandlungen der beiden Akteure im analytischen Prozeß, wofür zunächst die "primary rules" der geteilten soziokulturellen Lebensgemeinschaft insbesondere hinsichtlich ihrer dem einen oder anderen unbewußten Aspekte gelten. Solche Tatbestände werden mittels intentionaler Beschreibungen erfaßt, deren besondere Qualität in Abgrenzung zum kausalanalytisch-nomothetischen Diskurs als semantische Netze aus konzeptuellen Bezügen und sachlogischen Verweisungen, welche die Ko-Subjekte der analytischen Situation umgeben, auszuweisen ist. Erst darauf baut sich im Sinne der psychoanalytischen Konstruktion ein biographisches Narrativ auf, in das als genetische Deutung die spezielle Theorie des Analytikers eingeht. Letztere sind begriffslogisch selbst bereits Teil der therapeutischen Veränderung, insofern sie ritualisierte Handlungsund emotionale Erlebnismuster noch einmal in aller sinnlichen und gefühlshaften Relevanz zur Entscheidung im Prozeß des Durcharbeitens stellen. Auf dessen fundamentalen Sachverhalt sich systematisch zu besinnen, dazu zwingt Adolf Grünbaum die Psychoanalyse. Sie ist ihm zu Dank verpflichtet.