Neue Gedanken zur Transposition. Klinische, therapeutische und entwicklungsbedingte Betrachtungen - Jahrbuch der Psychoanalyse 24

von: Judith S. Kestenberg, Friedrich-Wilhelm Eickhoff; Wolfgang Loch; Hermann Beland; Edeltrud Meisterman

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 1989

ISBN: 0009410024208 , 27 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

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Neue Gedanken zur Transposition. Klinische, therapeutische und entwicklungsbedingte Betrachtungen - Jahrbuch der Psychoanalyse 24


 

Kinder von Überlebenden neigen dazu, in die Vergangenheit ihrer Eltern zurückzugehen und sie zu erforschen. In ihren Phantasien erleben die Kinder der Überlebenden den Holocaust und übertragen die Gegenwart in die Vergangenheit. Dieses Phänomen nannte ich Transposition. Die Transposition ähnelt der Trauer mit dem Unterschied, daß die verlorenen Objekte nicht dem Trauernden gehören und ihr Tod niemals angenommen wird. Stattdessen gibt es einen unaufhörlichen Versuch, sie wiederzubeleben. Dies stellt eine Restitution der verlorenen Objekte der Eltern dar. Aus metapsychologischer Sicht kann man die Transposition als die Organisation des Selbst in bezug auf Raum und Zeit definieren. An ihr beteiligen sich alle psychischen Strukturen. Wünsche, Anpassungs- und Abwehrmechanismen sowie Wertsysteme werden in einer einzigartigen Weise so organisiert, daß sie in das Doppelleben der Kinder der Überlebenden passen. Die Transposition ist ein Teil des Überlebenskomplexes von Generationen. Dieses normale Phänomen wird übertrieben und deutlich sichtbar, wenn das Überleben von Generationen bedroht wird. Aus entwicklungspsychologischer Sicht scheint die Transposition ein Phänomen zu sein, welches dann beginnt, wenn die Kleinkinder aus ihrer Babyzeit herauswachsen und die Stelle ihrer Mütter übernehmen wollen. Sie möchten wissen, woher sie kommen und wollen dies über mehrere Generationen zurückverfolgen. Sie wünschen in der Vergangenheit ihrer Eltern und Großeltern zu leben und niemals zu sterben. Das imaginäre Baby, welches in dieser Phase geschaffen wird, ist eine immer wieder auftretende Phantasie, die eventuell mit seinem „Tod" endet. Die Schöpfung, der Tod und die Wiederauferstehung von Babies ist ein Thema dieser Phase, welches in Phantasien der Kinder der Überlebenden überwiegt. Kinder von Nazis weisen ebenfalls Zeichen der Transposition auf. Viele scheinen in der Nazi-Vergangenheit zu leben, in einer Zeit, in der die Eltern möglicherweise Verfolger waren. Auch diese Kinder spielen die Rolle des Verfolgers und Verfolgten. Zwischen den Kindern der Überlebenden und denen der Nazis besteht ein sehr bedeutender Unterschied. Während die ersteren mit dem Konflikt „zu leben oder zu sterben" kämpfen, ist das zentrale Thema bei letzteren „töten oder getötetwerden". Die Transmission der elterlichen Gefühle über ihre Verfolgung auf die Kinder scheint insbesondere während der Kinderpflege stattzufinden. Dies kann zur Somatisierung führen, aus der in späteren Zeiten solche Phantasien entstehen wie Hungern oder von den Nazi-Verfolgern Gefoltertwerden. Das den Kindern übermittelte zentrale Thema, ob man leben oder mit anderen sterben sollte, stammt aus der sehr realen Konfrontation der Eltern mit dem Tod im Holocaust. Viele der deutschen Eltern konnten den Konflikt zwischen Kindertötung und Kinderrettung nicht zugunsten ihrer eigenen Kinder lösen. Deshalb fühlen sich viele dieser Kinder von Anfang an bedroht. Es ist notwendig zwischen den Kindern der Überlebenden, welche in der Welt ihrer Eltern leben, und den Überlebenden selbst zu unterscheiden. Sowohl die jüngere als auch die ältere Generation der Überlebenden wurde verfolgt und neigt dazu, in ihrer eigenen Vergangenheit zu leben, ohne die Gegenwart zu verkennen. Man muß ebenfalls unterscheiden zwischen den Kindern der Nazis, welche nach dem Krieg zur Welt kamen und die Gegenwart in die Vergangenheit transponieren, und den vor und im Krieg Geborenen, welche ihre eigenen Kindheitserfahrungen in der Nazi-Zeit ausagieren. Die Transposition soll nicht mit der Identifikation mit den eigenen Eltern verwechselt werden. Die Kinder der Überlebenden, welche in den Zeittunnel der Vergangenheit ihrer Eltern hinabsteigen, können unterschiedliche Rollen spielen, z. B. die der Eltern, verschiedener Verwandter oder die der Verfolger. Sie sind jedoch in der Lage, diese imaginäre Vergangenheit mit der Gegenwart und mit den aus der Alltagsgegenwart und der eigenen Vergangenheit stammenden Konflikten zu verbinden. In ihrer Therapie müssen beide Aspekte ihres Lebens analysiert werden. Der Therapeut muß verstehen, daß die somatischen Symptome von den frühkindlichen Erfahrungen herkommen und daß sie durch spätere Verfolgungsphantasien verstärkt werden. Sinnesempfindungen führen nicht nur zu Phantasien wie der Wiederauferstehung toter Verwandter im eigenen Körper, sondern verstärken diese zugleich, und kreiern somit einen Teufelskreis. Eine Vielzahl deutscher Kinder, welche von ihren Eltern grausam behandelt wurde, somatisiert ebenfalls und die Quelle ihrer Phantasien liegt häufig in ihrer Sorna. Diese Kinder sind oft vom Tod angezogen und benötigen Hilfe, um den Todeswunsch zu überwinden. Die Therapeuten der Kinder der Überlebenden müssen verstehen, was im Holocaust passiert ist, und mit ihrer eigenen Trauer umgehen können. Die Therapeuten von Nazi-Kindern müssen sich mit der Seite des Holocaust aus der Sicht der Nazis vertraut machen und müssen ihren eigenen Widerstand überwinden, um ihren Patienten zu helfen, sich mit der Vergangenheit ihres Vaterlandes zu konfrontieren. Die Behandlung der Nachkommen der Verfolgten und der Verfolger muß sich notwendigerweise auf den Konflikt zwischen Aufhören zu existieren und Überleben konzentrieren, welcher zum ersten Mal in der inner-genitalen, präödipalen Phase zum Ausdruck kommt.