Das Dilemma der Macht – zur Psychotherapie jugendlicher Psychosen - Jahrbuch der Psychoanalyse 34

von: Christian Eggers, Friedrich-Wilhelm Eickhoff; Wolfgang Loch; Hermann Beland; Ilse Grubrich-Simitis;

frommann-holzboog Verlag Jahrbuch der Psychoanalyse, 1995

ISBN: 0009410034206 , 33 Seiten

Format: PDF

Kopierschutz: Wasserzeichen

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Preis: 18,00 EUR

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Das Dilemma der Macht – zur Psychotherapie jugendlicher Psychosen - Jahrbuch der Psychoanalyse 34


 

Psychosen im Jugendalter stehen in besonders akzentuierter Weise in Relation zu ausgebliebenen Individuationsprozessen. Die unbewältigte Trennungsarbeit mit dem Ziel des Erwerbs von Eigenständigkeit und Autonomie geht einher mit einer schwachen Ich-Organisation. Symbiotisch- enge Beziehungen zum mütterlichen, beschützenden Objekt haben eine schützende Funktion: Schutz vor der drohenden psychotischen Dekompensation, das schwache Ich kann hier überleben. Dies ist der Grund dafür, daß die Lösung aus allzu engen Mutter-Sohn-Bindungen eine besonders wichtige Rolle spielt. – Jugendliche Schizophrene sind in unheilvoller Weise in ein Dilemma aus Abhängigkeitsscham und Trennungsschuld (L. Wurmser) verstrickt, das zugleich ein Dilemma aus phantasierter Macht (Größenideen - in unserem Fall Identifikation u.a. mit dem analen Phallus Gottes - W. Loch) und erlebter Ohnmacht (infantilisierende Abhängigkeit vom mächtigen mütterlichen oder väterlichen Objekt). Die Abhängigkeitsscham, gleichbedeutend mit der Scham darüber, ein schwaches, fragmentiertes, wertloses Selbst zu sein, kann sich zu einer Schamwut steigern. Sie wird bei unserem Patienten symbolisiert in Form von stinkendem «Treibgas», das sich in seinem «Enddarm» angesammelt hat und von dem er sich mittels eines «Chemikers aus Paris» befreien will. Das Gas macht sich aber auch Luft durch unangenehm riechende «Pupse», sie werden zu einer Art «Liebesprobe», eine «Überlebensprobe». Das Treibgas ist aber auch Symbol für etwas, das die steckengebliebene Entwicklung weitertreiben soll, unter Vermittlung des «Chemikers» = Therapeuten. – In dem komplexen Gefüge von Übertragung und Gegenübertragung droht dem Therapeuten analog zum Patienten ein Dilemma aus Macht (omnipotente Überfürsorge) und Ohnmacht (Hilflosigkeit, Ideen der Nutzlosigkeit seines Tuns). Es kann zu einer Rollenverkehrung kommen: der Patient schlüpft gleichsam in die Rolle des mächtigen, verwirrenden Elternteils und der Therapeut wird zum hilflosen, ohnmächtigen, besiegten Kind. – Das Aushalten und behutsame Durcharbeiten dieses Dilemmas ist von grundlegender Bedeutung für die Weiterentwicklung des Patienten, indem es ihm die Chance eröffnet, eigene kreative kognitive und emotionale Ressourcen zu entdecken. Wenn der Patient erlebt, daß der Therapeut seine Vernichtungs- und Entwertungswut überleben kann, kann er auch erleben, daß Trennung, d. h. Weiterentwicklung, nicht die Tötung des als übermächtig erlebten mütterlichen Objekts zur Folge hat. Der Patient darf sich also in der Therapie weiter entwickeln, was er ja auch realiter gemacht hat.